Müller-Hof Newsletter – Juni 2024

art – AktuelleRechtsTipps

Gesellschaftsrecht: Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen ohne den unbekannten Erben

Nach einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung des OLG Brandenburg (Beschluss vom 02.01.2024 – 7 W 66/23) sind Beschlüsse unheilbar nichtig, die in einer Gesellschafterversammlung ohne Ladung eines Vertreters der unbekannten Erben eines verstorbenen Gesellschafters gefasst wurden.

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt waren an einer GmbH eine Minderheitsgesellschafterin mit 49 % sowie ein Mehrheitsgesellschafter mit 51 % der Kapitalanteile beteiligt. Der Mehrheitsgesellschafter war zugleich der alleinige Geschäftsführer der Gesellschaft. Er verstarb ohne bekannte Erben. Der Gesellschaftsvertrag enthielt eine Regelung, dass im Falle des Todes eines Gesellschafters nur Mitgesellschafter nachfolgeberechtigt sind. Wenn ein Geschäftsanteil auf eine nicht nachfolgeberechtigte Person übergeht, muss der Anteil an eine nachfolgeberechtigte Person übertragen werden, sofern die Gesellschaft dies innerhalb von sechs Monaten nach Vorlage eines Erbscheins verlangt. Ferner war angeordnet, dass bis zur Übertragung und Anzeige bei der Gesellschaft die Gesellschafterrechte mit Ausnahme der Gewinnbezugsrechte ruhen. Nach dem Tod des Mehrheitsgesellschafters ohne bekannte Erben beschloss die Minderheitsgesellschafterin in einer Gesellschafterversammlung, die sie unter Verzicht auf alle Formen und Fristen der Einberufung, Ankündigung und Durchführung abhielt, sich zur alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführerin zu bestellen.

Die Nichtladung eines Vertreters der unbekannten Erben des Mehrheitsgesellschafters führte nach Auffassung des OLG Brandenburg zur Nichtigkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse. Das Recht zur Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen könne auch bei Ruhen der Gesellschafterrechte nicht entzogen werden. Es sei für die zunächst zur Rechtsnachfolge berufenen Erben von Interesse, welche Entscheidungen in der Gesellschafterversammlung getroffen werden. Das Urteil steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, wonach der unverzichtbare Kernbereich des Teilnahmerechts eines Gesellschafters an der Gesellschafterversammlung nicht entziehbar ist

Für die Gestaltung von Gesellschaftsverträgen und die Durchführung von Gesellschafterversammlungen bedeutet dies:

  • Ein vollständiger Entzug der Gesellschafterrechte ist nicht möglich, auch nicht im Todesfall eines Gesellschafters. Zumindest das Recht der Erben zur Teilnahme an Gesellschafterversammlungen besteht weiter.
  • Zulässig bleibt hingegen die Beschränkung des Teilnahmerechts durch die Anordnung der gemeinsamen Vertretung mehrerer an einem Geschäftsanteil Berechtigter – wie sie häufig in Satzungen zu finden ist.
  • Die Erben (oder vor deren Ermittlung ein zu ihrer Vertretung berechtigter Nachlasspfleger) sind stets zu den Versammlungen der Gesellschaft zu laden.
  • Hinsichtlich der alleinigen Geschäftsführung durch den Verstorbenen kann die Bestellung eines Notgeschäftsführers eine Option sein.
  • Ferner kann überlegt werden, ob Gesellschafter (gerade in Zwei-Personen-Gesellschaften) sich gegenseitig oder Dritte für diese Konstellationen zum Empfang der Ladung bevollmächtigen können, um dadurch die Notwendigkeit einer Nachlasspflegschaft zumindest in dieser Phase zu beseitigen.

Der vorliegende Fall verdeutlicht auch die Wichtigkeit, Satzung und individuelle Vorsorgeunterlagen (Testament, Vollmachten) aufeinander abzustimmen, so dass diese „im Fall der Fälle“ ineinandergreifen und die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft nicht unnötig erschweren.

Wir empfehlen Gesellschaftern, die individuelle Vorsorgegestaltung zu prüfen und anhand der vorhandenen Unterlagen die „worst case“-Szenarien durchzuspielen.

Infos aus unserer Kanzlei: