Müller-Hof Newsletter – Juni 2022

art – AktuelleRechtsTipps

Arbeitsrecht: Wann sind Überstunden zu vergüten?

Wenn ein Arbeitnehmer Überstunden vergütet haben möchte, muss er zunächst deren tatsächliche Ableistung nachweisen. Kann er lediglich eigene tabellarische Aufzeichnungen vorliegen, wird dies schwierig.

Weiterhin muss er nachweisen, dass die Überstunden angeordnet oder zumindest geduldet wurden oder zur Durchführung übertragener Aufgaben notwendig waren. In der Praxis haben Arbeitnehmer oft große Probleme, diese strengen Voraussetzungen im Gerichtsverfahren zu erfüllen.

Im Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Nach weit überwiegender Rechtsmeinung hat dies aber noch keine unmittelbaren praktischen Auswirkungen, solange der deutsche Gesetzgeber keine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung geregelt hat.

Dennoch entwickelte das Arbeitsgericht Emden im Jahr 2020 in zwei Urteilen den Gedanken, dass durch das EuGH-Urteil die Darlegungs- und Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert werde. Die Kenntnis des Arbeitgebers hinsichtlich der geleisteten Überstunden sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Das sahen erwartungsgemäß das Landesarbeitsgericht und nun auch das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 359/21) anders. Denn die sich aus EU-Recht ergebende Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit betreffe nur den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer, aber wirke sich nicht auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess nach deutschem Prozessrecht aus. Somit bleibt es wie bisher bei den strengen Anforderungen an das Vorbringen des klagenden Arbeitnehmers.

Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass eine Vertragsklausel unwirksam ist, wonach mit der vereinbarten Vergütung sämtliche anfallenden Überstunden abgegolten sein sollen. Damit kann eine Überstundenvergütung nicht ausgeschlossen werden. Allerdings kommt in diesem Fall Überstundenvergütung nur in Betracht, wenn dies den Umständen nach zu erwarten ist. Nach der BAG-Rechtsprechung scheidet das vor allem bei höherer Vergütung über der Beitragsbemessungsgrenze (derzeit EUR 7.050,00 brutto) aus, so dass in dieser Gehaltsklasse ohne ausdrückliche Vereinbarung keine Überstundenvergütung beansprucht werden kann.

Aus Arbeitgebersicht kann das Risiko einer unerwarteten Nachzahlung für Überstunden reduziert werden, indem eine wirksame Ausschlussfrist gemäß den neuesten rechtlichen Anforderungen in den Arbeitsvertrag aufgenommen wird. Dann kommt nur eine Überstundenforderung z.B. für die letzten drei Monate in Betracht.

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