Müller-Hof Newsletter – März 2024

art – AktuelleRechtsTipps

Arbeitsrecht: Frühzeitig auf Urlaubsverfall hinweisen

Die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seit 2018 und daran anschließend auch des Bundesarbeitsgerichts sieht eine „Hinweisobliegenheit“ des Arbeitgebers vor: Übrig gebliebener Urlaub verfällt nur dann am Ende des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitnehmer zuvor durch einen Hinweis in die Lage versetzt wurde, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitgeteilt wurde, dass der Urlaub anderenfalls verfällt. Wenn der Arbeitnehmer dennoch aus freien Stücken den Urlaub nicht genommen hat, muss er die Konsequenz des Urlaubsverfalls tragen. Ohne einen solchen Hinweis verfällt der Resturlaub allerdings nie.

Nach aktueller Rechtsprechung ist der Hinweis entbehrlich, wenn im gesamten Kalenderjahr durchgängig Arbeitsunfähigkeit bestand (BAG 20.12.2022 – 9 AZR 245/19). Denn dann hätte der Hinweis nichts gebracht, weil der Arbeitnehmer ohnehin wegen Krankheit keinen Urlaub nehmen konnte. Deshalb verfällt bei lange andauernder Krankheit der Urlaub nach einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten auch, wenn der Arbeitnehmer nicht auf den drohenden Urlaubsverfall hingewiesen wurde. Wenn ein Arbeitnehmer aber im Kalenderjahr zunächst gearbeitet hat, bevor er langfristig erkrankte, verfällt der Urlaub aus dem Jahr der Erkrankung nur dann nach einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten, wenn es einen solchen Hinweis gab.

Es stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber am besten diesen Hinweis erteilt. Während Rechtsprechung und Literatur zunächst einen jährlichen Hinweis ungefähr im Sommer unter Angabe des noch bestehenden Resturlaubs für angebracht hielten, legt eine neuere BAG-Entscheidung (Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 107/20) einen deutlich früheren Hinweis nahe:

Der langjährig beschäftigte Arbeitnehmer war ab 18.01.2016 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 28.02.2019 durchgehend krank. In dem abgeschlossenen Aufhebungsvertrag ließ man den streitigen Resturlaub aus 2016 offen. Über die Forderung des Arbeitnehmers nach einer Abgeltung von 30 Arbeitstagen Urlaub aus dem Jahr 2016 musste letztlich das Bundesarbeitsgericht entscheiden.

Das BAG kam zu dem etwas überraschenden Ergebnis, dass fünf Urlaubstage aus 2016 nicht verfallen seien. Dem Arbeitgeber müsse es tatsächlich möglich sein, den Arbeitnehmer vor dessen Erkrankung durch aufklärenden Hinweis zur Urlaubsnahme zu veranlassen. Nur dann habe der fehlende Hinweis die Folge, dass der Urlaub nicht verfalle. Hat die Erkrankung jedoch derart früh im Kalenderjahr begonnen, dass noch keine Hinweisobliegenheit bestand, oder hätte der Urlaub auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Obliegenheit nicht vollständig vor Eintritt der Dauererkrankung genommen werden können, trete insoweit ein Urlaubsverfall nach Ablauf der 15-Monatsfrist ein, wie der unterbliebene Hinweis nicht ursächlich für die Nichtverwirklichung des Urlaubsanspruchs war. Aufforderung und Hinweis müssten zwar nicht sofort nach Urlaubsentstehung erfolgen, aber unverzüglich, d.h. „ohne schuldhaftes Zögern“. Da die Berechnung des Urlaubsanspruchs und die Formulierung der Belehrung regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten bereite, sei unter normalen Umständen eine Zeitspanne von einer Woche ausreichend. In der Regel handele der Arbeitgeber laut BAG nicht mehr unverzüglich, wenn er seine Mitwirkungsobliegenheit erst später als eine Woche nach Urlaubsentstehung erfülle. Der Arbeitgeber habe hier seine Mitwirkung nicht vor dem 08.01.2016 erbringen müssen. Zwischen diesem Zeitpunkt und dem Beginn der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit lagen fünf Tage, an denen der Arbeitnehmer – jedenfalls theoretisch – im Falle einer Belehrung Urlaub hätte nehmen können. Da ein solcher Hinweis unterblieb, seien diese fünf Urlaubstage nicht von dem Verfall betroffen, sondern müssten noch abgegolten werden. Mehr als diese fünf Urlaubstage hätte der Arbeitnehmer aber nach erfolgtem Hinweis aufgrund seiner Krankheit sowieso nicht nehmen können, weshalb der weitergehende Urlaubsanspruch verfallen sei.

Vor diesem Hintergrund ist vorsichtigen Arbeitgebern zu empfehlen, den Hinweis auf den Urlaubsanspruch und den anderenfalls drohenden Verfall so früh wie möglich im Kalenderjahr zu erteilen, nämlich bis zum Ende der ersten Arbeitswoche im Januar.

Anzumerken ist jedoch, dass der Arbeitgeber rechtlich nicht zu diesem Hinweis „verpflichtet“ ist, vielmehr handelt es sich nur um eine „Obliegenheit“. Er kann sich diesen Aufwand auch sparen, muss dann allerdings mit Nachteilen rechnen in Form von weitergehenden Resturlaubsansprüchen sowie Abgeltungsansprüchen, ohne sich auf Urlaubsverfall berufen zu können. Welcher Aufwand betrieben wird, ist letztlich eine Frage der Abwägung.

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