Müller-Hof Newsletter – März 2023
art – AktuelleRechtsTipps
Vertriebsrecht: Neue Produkthaftungsvorschriften in Europa
Die gesetzlichen Regelungen zur Produkthaftung in den EU-Mitgliedstaaten beruhen auf der Produkthaftungsrichtlinie aus dem Jahr 1985. So auch das in Deutschland geltende Produkthaftungsgesetz. Danach ist der Hersteller eines Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den Schaden zu ersetzen, wenn durch einen Fehler des Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist. Auf ein Verschulden kommt es für die Haftung nicht an.
Am 28.09.2022 hat die EU-Kommission den Entwurf einer neuen Produkthaftungsrichtlinie vorgelegt. Auch weiterhin ist eine verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte gegenüber natürlichen Personen vorgesehen. Die neuen Vorschriften werden aber an die neuen digitalen Technologien und an die Entwicklung in der Herstellung und dem Vertrieb von Produkten angepasst.
Wesentliche Neuerungen sind:
In der neuen Produkthaftungsrichtlinie wird ausdrücklich klargestellt, dass es sich bei Software und digitalen Produktionsdateien um „Produkte“ im Sinne der Richtlinie handelt.
Der Entwurf erweitert den Kreis der haftenden Personen. Bislang hafteten die Hersteller, die Quasi-Hersteller und die EWR-Importeure. Nun sollen auch Bevollmächtigte des Herstellers, Fulfillment-Dienstleister und unter bestimmten Voraussetzungen auch Einzelhändler und Betreiber von Online-Marktplätzen haften. Als Hersteller gelten des Weiteren auch Unternehmen, die ein Produkt nach Inverkehrbringen ohne Zustimmung des ursprünglichen Herstellers wesentlich verändern.
Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Verbrauchers entspricht. Zu berücksichtigen sind die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts, so auch der Cybersicherheit.
Der Begriff des ersatzfähigen Schadens wird erweitert auf den Verlust und die Verfälschung von Daten, die nicht ausschließlich für berufliche Zwecke verwendet werden.
Neu ist die Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln. Den nationalen Gerichten soll ermöglicht werden, auf Antrag des Geschädigten bzw. des Klägers anzuordnen, dass das Unternehmen die in seinem Besitz befindlichen relevanten Beweismittel offenlegen muss. Die Offenlegungspflicht setzt voraus, dass der Kläger die Wahrscheinlichkeit eines Schadensersatzanspruches hinreichend dargelegt hat.
Die Beweiserleichterungen für den Geschädigten werden erweitert. Dem Geschädigten soll mittels widerlegbarer Vermutungen die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtert werden.
Die Haftungshöchstgrenze von EUR 85 Mio. und der Selbstbehalt von EUR 500,00 für Sachschäden sollen entfallen.
Es muss abgewartet werden, was die finale Fassung der Produkthaftungsrichtlinie vorschreibt und wie die Vorgaben von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Der Entwurf sieht eine Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten von zwölf Monaten ab Inkrafttreten vor.
Insgesamt wird der Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie erheblich erweitert. Die Unternehmer werden zu überprüfen haben, ob sie den Risiken der Produkthaftung ausgesetzt sind, und sich frühzeitig darauf einstellen müssen. Auf dieser Grundlage müssen eventuell interne Regelungen, Abläufe und auch Haftpflichtversicherungen angepasst werden.